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Frühkindliche Förderung: Warum wir dringend mehr investieren müssen

Kurier Interview von Bernhard Gaul und Ute Brühl

6. Jänner 2025

Die frühkindliche Entwicklung spielt eine entscheidende Rolle für die Gesundheit und das Wohlbefinden unserer Gesellschaft – und dennoch wird dieses Thema in der Politik und Öffentlichkeit häufig vernachlässigt. Bildungsforscher Wolfgang Lutz, kürzlich mit dem renommierten Yidan-Preis ausgezeichnet, fordert eine radikale Reform: „Wir müssen früh in die Familien gehen.“

Warum frühkindliche Förderung so wichtig ist
Zahlreiche Studien belegen, dass die ersten Lebensjahre entscheidend für die körperliche, geistige und emotionale Entwicklung eines Kindes sind. Frühzeitige Interventionen können nicht nur Bildungs- und Gesundheitschancen verbessern, sondern auch langfristige gesellschaftliche Kosten senken.

Ein Beispiel liefert Finnland mit seinem „Neuvola“-System, das medizinische Checks mit entwicklungspsychologischer Beratung und Sozialberatung kombiniert. Familien erhalten nicht nur Unterstützung durch regelmäßige Hausbesuche, sondern auch Zugang zu Gratis-Bilderbüchern und weiteren Bildungsangeboten. „Das ist besonders für sozial schwache Gruppen ein enormer Anreiz“, so Lutz.

Bildung und Gesundheit gehen Hand in Hand
In Österreich zeigen die Zahlen alarmierende Tendenzen: 29 % der Erwachsenen haben Schwierigkeiten beim Lesen, und 20 % der Jugendlichen gehören laut PISA-Studien zur Risikogruppe. Diese Bildungslücken haben weitreichende Folgen – nicht nur für die Betroffenen, sondern für die gesamte Gesellschaft. „Bildungsarmut führt nicht nur zu einem niedrigen Einkommen, sondern auch zu schlechterer Gesundheit und Lebenszufriedenheit“, erklärt Lutz.

Was jetzt passieren muss
Wolfgang Lutz plädiert für einen Paradigmenwechsel:

  • Eine Reform des Eltern-Kind-Passes, der neben medizinischen auch psychosoziale und entwicklungspsychologische Aspekte umfasst.
  • Frühzeitige Förderung in den Familien, mit Unterstützung durch Expertenbesuche, die auf die Bedürfnisse von Eltern und Kindern eingehen.
  • Ein gesellschaftlicher Dialog, der Bildung und Gesundheit nicht getrennt voneinander denkt, sondern als Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung betrachtet.

Investitionen, die sich lohnen
Der Nobelpreisträger James Heckman hat nachgewiesen, dass jeder in frühkindliche Förderung investierte Euro langfristig höhere Renditen bringt als spätere Interventionen. Lutz bestätigt: „Es ist deutlich schwieriger, Defizite im Erwachsenenalter auszugleichen. Wir müssen früher ansetzen, bevor Probleme entstehen.“

Ein Blick nach vorne
Die Diskussion um eine zweite Kindergartenpflicht ist wichtig, greift aber zu kurz. Entscheidend sind die ersten Lebensjahre, in denen persönliche Ansprache und emotionale Zuwendung den Grundstein für die spätere Entwicklung legen. Hier gilt es, politisch und gesellschaftlich mutig zu handeln.

Die Erkenntnis ist klar: Frühkindliche Förderung ist keine Privatsache, sondern eine Aufgabe, die wir gemeinsam bewältigen müssen – für die Kinder von heute und die Gesellschaft von morgen.

Das ganze Interview ist nachzulesen auf der Kurier Website: