Wo es sonst noch brennt
Diagnose zu spät
Eine seltene Erkrankung ist tatsächlich selten - Menschen mit seltenen Erkrankungen gibt es aber überraschend viele:
- Die durchschnittliche Dauer bis zur Diagnose einer seltenen Erkrankung beträgt 5 Jahre, „in denen betroffene Personen zu verschiedenen fachärztlichen Angeboten pilgern, lange keine oder falsche Diagnosen bzw. Therapien erhalten, oft auf Unverständnis stoßen und nicht selten als Hypochonder abgestempelt werden“
- Die Kompetenzzentren sind dünn gesät, Anfahrtswege von mehreren Stunden sind keine Seltenheit. Ein normales Leben im sozialen Umfeld und in Kindergarten oder Schule ist in vielen Fällen nicht möglich
Eine Erkrankung gilt in der EU dann als selten, wenn davon weniger als einer von 2000 Menschen betroffen ist. Es gibt nach heutigem Wissen aber über 6.000 verschiedene seltene Erkrankungen. Für Österreich heißt das, dass insgesamt etwa 450.000 (!) Menschen von einer seltenen Erkrankung betroffen sind. 72 % sind genetisch bedingt und von diesen beginnen wiederum 70 % im Kindesalter.
Die zahlreichen Probleme der Betroffenen beginnen meist schon lange vor einer Diagnose:
Da jede einzelne Krankheit so selten auftritt, die Symptome sehr uneinheitlich und vielgestaltig sein können, teilweise auch bei anderen Krankheiten auftreten können und den meisten Mediziner*innen naturgemäß das Wissen zu Krankheiten fehlt, mit denen sie entweder nie oder vielleicht einmal im Berufsleben konfrontiert werden, dauert es im Durchschnitt 5 Jahre bis zur Stellung der richtigen Diagnose. Bis dahin werden meist mehrere Ärzt*innen, Ambulanzen und Spitäler zu Rate gezogen, die Patient*innen erhalten oft falsche Diagnosen und falsche Therapien, stoßen oft auf wenig Verständnis für ihre Beschwerden oder werden gar als Hypochonder abgestempelt.
Die Probleme werden nach einer exakten Diagnose meist nicht weniger:
Nur wenige der seltenen Erkrankungen sind grundsätzlich behandelbar, die vorhandenen Therapien sind teuer, geringe Patient*innenzahlen äußern sich in hohen Behandlungskosten. Die Frage der Kostenübernahme eröffnet oft auch einen bürokratischen Hürdenlauf und ein Tauziehen zwischen den möglichen kostenpflichtigen Institutionen (Krankenkassen und Spitalserhalter). Die Kompetenzzentren, in denen Therapien angeboten werden, sind dünn gesät, Anfahrtswege von mehreren Stunden sind keine Seltenheit. Ein normales Leben im sozialen Umfeld und in Kindergarten oder Schule (oder später eine Erwerbstätigkeit) ist in vielen Fällen nicht möglich.
(Einige der Textpassagen wurden aus den genannten Quellen wörtlich übernommen)
Die wichtigsten Problembereiche (nach einer Auflistung im Gesundheitsportal Gesundheit.gv.at):
- Fehlende Dokumentation und Bedarfsplanung
- Informationsmangel: es gibt nur wenige Spezialist*innen mit dem jeweiligen
Fachwissen. Patient*innen und/oder ihre Familien müssen sich selbst ihr Fachwissen zu Krankheit, Pflege und Sozialleistungen erarbeiten, gegebenenfalls mit Selbsthilfegruppen - Spezialisierte Behandlungszentren: oft gibt es in zumutbarer Nähe gar keine Behandlungsmöglichkeit, internationale Kontakte und grenzüberschreitende Zentren sind unabdingbar
- Fehlende Programme zur Transition von betroffenen Jugendlichen in die erwachsenenmedizinische Betreuung
- Hilfe bei Notfällen: besonders problematisch, weil den Akutmediziner*innen und Pflegepersonen meist das spezifische Wissen über die zugrunde liegende Krankheit fehlt
- Hoher Versorgungsaufwand und Kostenerstattung
- Psychosoziale Herausforderungen für die Betroffenen und ihre Familien
- Herausforderungen im Alltag: viele Betroffene haben Einschränkungen oder Behinderungen, dadurch einen erhöhten Unterstützungsbedarf bei der täglichen Routine oder besonders auch in Kindergarten und Schule
- Finanzielle Belastungen mit Abhängigkeit von staatlichen und anderen Unterstützungsleistungen
Quellen:
- https://www.prorare-austria.org/wissenswertes/ueber-seltene-erkrankungen
- Seltene Erkrankung - Was ist das? | Gesundheitsportal
- Pro Rare Austria: Seltene Erkrankungen als Mehrfachbelastung (prorare-austria.org)
- Pädiatrie & Pädologie 3/2020 | springermedizin.de
- Beitrag „Diagnose zu spät – Defizite in der Versorgung von Kindern und
Jugendlichen mit seltenen Erkrankungen“ von Claas Röhl, Obmann NF-Kinder, im Newsletter 60-2024 der Politischen Kindermedizin, siehe Politische Kindermedizin – Newsletter (polkm.org), abrufbar ab 15.7.24.
Empfohlene Maßnahmen:
Die notwendigen Schritte zur Verbesserung der Versorgung von Kindern und Jugendlichen (wie auch von Erwachsenen) mit einer seltenen Erkrankung sind mehrfach thematisiert und publiziert, siehe auch obige Quellen. Verbesserungen sind besonders stark abhängig von Fortschritten der Forschung in Diagnose und Therapie. Dazu braucht es eine gute internationale Vernetzung, neue Erkenntnisse sind kaum allein auf nationaler Ebene möglich. Österreich hätte aber eine besondere Verpflichtung, den von einer seltenen Erkrankung und ihren vielen damit verbundenen Problemen Betroffenen medizinisch, sozial und im Bildungswesen beizustehen. Das erfolgt in teilweise schmerzlich geringem Ausmaß.
Besonders notwendig wären:
- Stärkere Förderung des Aufbaus von Expertisezentren für Forschung und Versorgung mit entsprechender finanzieller Ausstattung
- Verbesserung des Zugangs zu spezifischen Therapien
- Entbürokratisierung und Erleichterung des Zugangs zu medizinisch-therapeutischen,
pflegerischen und finanziellen Unterstützungsleistungen - Etablierung von Case Manager*innen für den jeweiligen Erkrankungsbereich mit
- Einrichtung multidisziplinärer Teams
- Rahmenbedingungen für deren Internationale Vernetzung und
- Schaffung entsprechender struktureller und finanzieller Möglichkeiten für die Umsetzung
- Entwicklung und Finanzierung von Transitionsprogrammen
- Verbesserung der Dokumentation (Patientenregister)
- Anerkennung und Unterstützung der Leistungen der Selbsthilfe
- Erweiterung des Neugeborenen-Screenings um Erkrankungen, bei denen betroffene Kinder durch rechtzeitige Maßnahmen profitieren würden
Orthopädie ohne Kinder
- Die Kinderorthopädie befindet sich in Österreich in einer prekären Lage: Durch die Zusammenlegung der Fächer Orthopädie und Traumatologie wurden (ohne die international übliche Einrichtung eines Spezialfaches Kinderorthopädie) die Ausbildungsqualität, Zahl der Kinderorthopäd*innen, personelle, zeitliche und räumliche Ressourcen und somit die Versorgung zumeist chronisch schwer bewegungsbeeinträchtigter Kinder und Jugendlicher massiv reduziert
- Die seit Jahren geforderte Kostenübernahme der Hilfsmittelversorgung aus einer Hand für kranke Kinder und Kinder mit Behinderungen ist nach wie vor nicht gelöst
- Die Transition und institutionelle Weiterversorgung von Kindern mit schweren Bewegungs- und Mehrfachbehinderungen ist im Gegensatz zu Deutschland in Österreich nicht gesetzlich geregelt
Im internationalen Vergleich ist die Kinderorthopädie außerhalb Österreichs und Deutschlands als Spezialfach etabliert. In Österreich und Deutschland führte die Zusammenlegung der beiden medizinischen Fachgebiete Orthopädie und Unfallchirurgie in den letzten 15 Jahren zu einer massiven Veränderung der personellen, räumlichen und zeitlichen Versorgungsstrukturen.
In den vergangenen Jahrzehnten konnten einige häufige kinderorthopädische Erkrankungen, wie Hüftdysplasien, idiopathische Klumpfüße, Achsfehlstellungen, muskuläre Schiefhälse und idiopathische Skoliosen durch Früherkennung deutlich effizienter und weniger belastend früh behandelt werden. Andererseits hat die Zahl von Kindern mit seltenen und schwereren Systemerkrankungen, die einer umfassenden Langzeitbehandlung bedürfen signifikant zugenommen. Dass in spezialisierten Ambulanzen regelmäßig Patienten mitunter deutlich zu spät oder auch falsch versorgt vorgestellt werden, macht deutlich, dass die erforderliche Anpassung der Ressourcen und Strukturen derzeit noch nicht abgeschlossen ist.
Der Zugang zu den notwendigen Gesundheitsleistungen ist vor allem für Patient*innen und deren Eltern in Zeiten zunehmender prekärer sozialer Verhältnisse und schwierigerer Sprachverständnisse durch längere Wartezeiten auf ambulante und stationäre Termine, kürzere perioperative Krankenhausaufenthalte, bürokratisch komplizierte Hilfsmittelfinanzierungen und Kostenbeteiligungen schwieriger geworden.
Um Kindern mit komplexen Fehlbildungen, Lähmungen und Bewegungsstörungen ein mobiles, schmerzfreies, selbstbestimmtes und glückliches Leben zu ermöglichen, ist für deren orthopädische Diagnostik und Behandlung eine umfassende Ausbildung mit einer längeren Lernkurve zu berücksichtigen.
(Auszüge aus der angegebenen Quelle)
Quelle:
Empfohlene Maßnahmen: (Details siehe Quelle)
- Basisschulung in Kinder- und Neuroorthopädie für alle Fachärzt*innen für OT (Orthopädie und Traumatologie) durch evaluierte Zusatzfachärzt*innen
- Qualifikation von Fachärzt*innen für OT durch eine mindestens zweijährige praktische und theoretische, staatlich anerkannte Zusatzausbildung für Kinderorthopädie mit Prüfung
- Entwicklung eines allgemein zugänglichen, qualifizierten Versorgungsnetzwerks
- Einrichtung von interdisziplinären Praxen mit einem Schwerpunkt Kinder- und Neuroorthopädie
- Sicherung des Ausbaus von mehreren kinder- und neuroorthopädischen Departments in Österreich
- Ausbau eines Netzwerks zur flächendeckenden kinder- und neuroorthopädischen Konsil-Versorgung von Spezialinstitutionen
- Aufbau eines Netzwerkes zur flächendeckenden (neuro-)orthopädischen Weiterversorgung von Erwachsenen mit chronischen neuromotorischen, rheumatischen und System-Erkrankungen und Behinderungen
Wo ist ein*e Pfleger*in?
- Seit 2016 gibt es keine spezialisierte 3-jährige Ausbildung zum*zur diplomierten
Kinderkrankenpfleger*in mehr. Kinder sind aber keine kleinen Erwachsenen. Um sie
entsprechend zu pflegen und ihre Familien zu unterstützen, braucht es fachlich
ausgebildete Pflegepersonen.
In der Kinder- und Jugendlichenpflege werden Frühgeborene, Säuglinge, Kleinkinder, Kinder und Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr mit akuten sowie komplexen, chronischen Erkrankungen gepflegt, betreut und medizinisch versorgt. Um den kindgerechten Bedürfnissen gerecht zu werden, müssen entwicklungsbedingte Aufgaben beachtet werden. Familienorientierung spielt eine entscheidende Rolle, da die Eltern und Angehörigen eine wichtige Unterstützung für die Betroffenen darstellen. Ein Schwerpunkt der gemeinsamen Arbeit ist die strukturierte Edukation und Anleitung von Bezugspersonen, damit die fachlich korrekte Pflege während des Krankenhausaufenthaltes aber auch nach der Entlassung gewährleistet ist.
- Das Aufgabengebiet der Kinder- und Jugendlichenpflege ist sehr vielseitig: Abgesehen vom klinischen Bereich nimmt die mobile Pflege, die palliative Betreuung, sowie die Pflege und Betreuung in Kurz- und Langzeiteinrichtungen einen immer höheren Stellenwert ein. Auch die Integration der KiJu-Pflege in Primärversorgungszentren (PVE) und in niedergelassenen Versorgungseinrichtungen wird und muss weiter ausgebaut werden. Ganz nach dem Motto „ambulant und mobil vor stationär“.
- Zur Pflegetätigkeit im und außerhalb des Spitals, sowie dem tagesklinischen Bereich nimmt die Beratungsfunktion in Gesundheitsfragen eine wesentliche Rolle ein.
- Immer mehr Kinder werden in Schulen und Kindergärten durch Pflegepersonen betreut. School Health Nurses können hier entscheidend zur Inklusion beitragen und somit auch Kindern mit chronischen und seltenen Erkrankungen den Schulbesuch ermöglichen, um deren Bildungschancen zu erhöhen. Viele Kinder mit hochkomplexen Erkrankungen, bei denen jederzeit akute Notsituationen auftreten können (z.B. Heimbeatmung), brauchen ein anderes Betreuungssetting. Fachpersonal arbeitet verschränkt mit der Schulgesundheitspflege zusammen.
- Neben der fachlichen Pflege, der Übernahme von medizinischen Tätigkeiten und der Beratung, Begleitung des Familiensystems muss auf Prävention und Gesundheitsförderung ein wesentliches Augenmerk gelegt werden. Kinder müssen von klein auf Gesundheitskompetenz entwickeln, um später gesundheitsrelevante Entscheidungen treffen zu können.
- Das Projekt der Community Health Nurses ist derzeit auf Menschen ab dem 75. Lebensjahr aufgebaut, vereinzelte Projekte haben auch einen Schwerpunkt Kinder und Jugendliche.
Spezialisierung erforderlich!
Es sind setting- und zielgruppenspezifische Kompetenzen erforderlich, diese leiten sich aus den Bedürfnissen und Besonderheiten der vulnerablen Zielgruppe ab. Nur mit entsprechenden Qualifikationsmaßnahmen kann gewährleistet werden, dass die Qualität der pflegerischen Versorgung gesichert werden kann.
Seit 2016 gibt es für den gehobenen Dienst für Gesundheits- und Krankenpflege die 3-jährige generalistisch ausgerichtete Ausbildung. Entsprechend des GuKG §17, Abs 3 ist die erfolgreiche Absolvierung der entsprechenden Sonderausbildung oder Spezialisierung, Niveau 2 (Befugniserweiterung), innerhalb von fünf Jahren ab Aufnahme der Tätigkeit zu absolvieren. Für die Ausbildungen Pflegeassistenz und zur Pflegefachassistenz ist dies nicht vorgesehen. In der Praxis wird immer häufiger wahrgenommen, dass diese Pflegepersonen nicht ausreichend auf die Komplexität der Versorgung von Kindern und Jugendlichen und ihre Familiensysteme vorbereitet sind. Dies hat zur Folge, dass nur ein geringer Teil der ausgebildeten Pflegepersonen den Weg in die Kinderkrankenpflege findet, bzw. oftmals nach kurzer Zeit auf Grund der massiven Überforderung diesen Bereich wieder verlässt. Der daraus entstehende Mangel an qualifizierten Pflegepersonen in der Kinder- und Jugendlichenpflege hat massive Auswirkungen auf die Versorgung der vulnerablen Zielgruppe, also der Kinder und Jugendlichen.
Quellen:
- Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz
(2024): Charta für Kinder im Krankenhaus.
https://www.gesundheit.gv.at/gesundheitsleistungen/krankenhausaufenthalt/kinder-
im-krankenhaus.html (21.04.2024) - Bundesgesetz über Gesundheits- und Krankenpflegeberufe (Gesundheits- und
Krankenpflegegesetz)
https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzes
nummer=10011026 (06.07.2024) - Österreichischer Strukturplan Gesundheit (ÖSG 2023)
https://goeg.at/OESG_2023 (06.07,2024) - Berufsverband Kinderkrankenpflege Österreich:
Positionspapier_Vorbehaltstätigkeit_Kinderkrankenpflege
https://kinderkrankenpflege.at/de/aktuell/102315 (03.07.2024)
Empfohlene Maßnahmen
- Verpflichtende Spezialisierung nach der generalistischen Ausbildung in allen
Qualifikationsstufen laut Each Charta - Laufende, zielorientierte Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen
- Spezialisierte Weiterbildung für Kinder- und Jugendlichenpflege – verpflichtend. Ein
Basismodul muss vor Beginn der Tätigkeit absolviert werden. Innerhalb der
gesetzlich vorgeschriebenen 5 Jahresfrist müssen Aufbaumodule in den
unterschiedlichen Settings absolviert werden. - Finanzierung muss gesichert sein, auch die Kosten für die Sonderausbildung oder
Spezialisierung, Niveau 2 (Befugniserweiterung), sollte durch öffentliche
Förderungen abgedeckt werden - Bestehende Schul- und Ausbildungsversuche mit Maturaabschluss sind in den
Regelbetrieb zu übernehmen - Upgrade Programme für DGKP (Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflege) zur tertiären Ausbildung ausbauen
- Down-Sizing in der Gesundheits- und Krankenpflege stoppen
- Systematische Erfassung der Pflegepersonen mit Spezialausbildungen im Gesundheitsberuferegister (GBR)
- Anführen der notwendigen Spezialisierung Kinder-/Jugendlichenpflege im Österreichischen Strukturplan Gesundheit (ÖSG) sowie verpflichtende Schlüssel für den Anteil an Pflegepersonen mit Spezialisierung im ÖSG verankern
(Dieser Beitrag und die Formulierung der empfohlenen Maßnahmen stammt vom
Berufsverband Kinderkrankenpflege Österreich und MOKI)
- Über 200.000 Kinder und Jugendliche wachsen mit einer chronischen Erkrankung auf. Unser Bildungssystem ist darauf nicht vorbereitet. School Nurses könnten einen entscheidenden Beitrag leisten
In Österreich gibt es über 200.000 chronisch kranke Kinder und Jugendliche, sie leiden z.B. an angeborenen Erkrankungen mit verschieden schweren Behinderungen, aber auch an Asthma, Allergien, Zuckerkrankheit, anderen Stoffwechselkrankheiten, Rheuma oder Krebserkrankungen. Sie besuchen Kindergärten, etwa 2/3 von ihnen eine Schule und die Themen Gesundheit, Krankheit und Gebrechen begleiten sie dorthin.
Chronische Krankheiten sind bei Kindern und Jugendlichen als solche zwar absolut seltener als bei Erwachsenen, aufgrund der Auswirkungen auf die weitere Entwicklung und die schulische Leistungsfähigkeit aber von besonderer Bedeutung. Betroffene Kinder besuchen Kindergarten oder Schule in der Regel so lange, wie es ihre Erkrankung zulässt. Nur bei akuten, nicht überwindbaren Problemen bleiben sie diesen fern, was folglich dazu führt, dass chronische Erkrankungen im Alltag von Kindergärten und Schulen präsent sind. Kinder nehmen Medikamente in der Schule, sie messen medizinisch relevante Daten oder müssen therapeutische Anforderungen einhalten. Manche dieser Kinder brauchen für diese Tätigkeiten Unterstützung, die ihnen nicht immer gewährt wird, sie sind auf den guten Willen der jeweiligen Pädagog*innen angewiesen.
School Health Nurses wären nicht nur zur Unterstützung dieser Kinder und Jugendlichen von zentraler Bedeutung. Sie sind neben Schulärzt*innen, Schulpsycholog*innen und Sozialarbeiter*innen Teil der Gesundheitsteams in Schulen oder analog in Kindergärten. Sie sind für Gesundheitsversorgung, Gesundheitsförderung und Prävention verantwortlich, führen Screening-Untersuchungen durch und unterstützen bei der Integration von Kindern mit chronischen Krankheiten und/oder Behinderungen, sowie das familiäre System und das pädagogische Team. Als Vertrauenspersonen stellen sie einen niederschwelligen Zugang für vulnerable Gruppen dar. Internationale Erfahrungen sind durchwegs sehr positiv.
In Wien gibt es ein Pilotprojekt mit 4 Pflegekräften in 6 Schulen und einem angeschlossenen Kindergarten für 1600 Kinder und Jugendliche, finanziert über ein EU-Projekt, das 2024 ausläuft. Eine erste Bilanz im Juni 2024 fiel äußerst positiv aus. Die Zukunft des Projekts ist derzeit ungewiss.
(Dieser Text enthält mehrere Textbausteine aus den angegebenen Quellen).
Quellen:
- 2023-02-08 Positionspapier (prorare-austria.org)
- Kindergesundheit: Wenn das Kind chronisch krank ist - Diakonie
- Volume 58, Issue 1 supplement | Pädiatrie & Pädologie (springer.com)
- Inklusionsarbeit der School Nurse | Pädiatrie & Pädologie (springer.com)
- https://www.wien.gv.at/gesundheit/beratung-vorsorge/eltern-kind/beratung/school-nurses.html
- https://wien.orf.at/stories/3261922/
Empfohlene Maßnahmen:
- Nach Evaluierung des Pilotprojekts, Sicherstellung der Finanzierung von School Nurses zur schrittweisen, aber zügigen Ausrollung auf ganz Österreich
Definitive Implementierung einer zertifizierten Ausbildung zur School Nurse, siehe 100256_Campus_Wien_Academy_Folder_Zertifikatsprogramm_Schulgesundheitspflege_22_23.pdf (kinderkrankenpflege.at)
- Bis zum vollendeten 18. Lebensjahr werden Kinder/Jugendliche und ihr Familiensystem durch Pflegepersonen mit der Spezialisierung Kinder/Jugendlichenpflege betreut, - und dann?
- Die betroffenen Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen und ihre Familien stehen mit ihren Sorgen, Ängsten, Diagnosen und weiterführenden Anliegen (pflegerisch, medizinisch, therapeutisch) weitgehend alleine da.
Übergänge bringen für die Betroffenen eine bedeutsame Veränderung in Ihrem Leben mit sich. Die größte Veränderung bringt der Übergang vom jugendlichen zum jungen Erwachsenen-Alter. Viele Kinder mit palliativen Erkrankungen sind vor einigen Jahren meist noch im Kindesalter verstorben. Dank des medizinischen Fortschrittes und der qualitativ hochwertigen Pflege erreichen immer mehr das Erwachsenenalter.
Von den über 200.000 Kindern und Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen und/oder Behinderungen durchleben jährlich einige Tausend den Transitionsprozess. Transition ist ein gezielter, geplanter Prozess, um Jugendliche und junge Erwachsene mit chronischer Erkrankung von kindzentrierter in erwachsenenorientierte medizinische Betreuung zu übergeben (Blum, et al., 1993).
Davon sind wir aktuell noch sehr weit entfernt, die betroffenen Jugendlichen/jungen Erwachsenen und ihre Familien stehen mit ihren Sorgen, Ängsten, Diagnosen und weiterführenden Anliegen (pflegerisch, medizinisch, therapeutisch) weitgehend alleine da. Die pädiatrischen Organisationen und Unterstützersysteme erleben im Alltag ein Vakuum, beginnend mit einfachen Pflegemaßnahmen bis zu hochkomplexen medizinischen Maßnahmen (z.B. Heimbeatmung).
Für die betroffenen Jugendlichen und ihre Familien ändert sich beim Übergang ins Erwachsenenalter vieles:
- Wechsel von der pädiatrischen Pflege zur Erwachsenenpflege: die mobile Pflege bei Erwachsenen ist auf ältere Menschen ausgerichtet und hat keine oder kaum Erfahrung im pädiatrischen Bereich
- palliative Betreuung: während Kinder und Jugendliche über Jahre und Jahrzehnte betreut werden können, ist die palliative Betreuung und Begleitung von Erwachsenen auf Tage oder Wochen, selten Monate beschränkt.
- Betroffene und ihre Eltern verzichten daher oftmals auf eine weiterführende Betreuung, da sie sich und ihre Kinder in der Phase des Übergangs nicht ausreichend unterstützt fühlen.
- Von der Elternrolle zur Erwachsenenvertretung: Bis zum 18. Lebensjahr dürfen Eltern medizinische/pflegerische Entscheidungen für ihre Kinder treffen. Als junge Erwachsene mit oft schweren kognitiven Einschränkungen sollten diese von einem Tag auf den anderen vom Gesetz her über ihre eigenen Bedürfnisse entscheiden können, bzw. sind Eltern gefordert, sehr spontan einen Antrag als „Erwachsenenvertretung“ zu stellen.
- Finanzielle Unterstützungen und Förderungen ändern sich.
- Oftmals wird zu wenig auf die Bedürfnisse und Ziele der Jugendlichen bzw. der jungen Erwachsenen mit chronischen Erkrankungen eingegangen.
Meist werden die Veränderungen und neuen Herausforderungen bis zuletzt ignoriert. Daher muss schon frühzeitig und individuell (optimal ab 14 Jahren) mit dem Prozess der Transition begonnen werden.
Quellen:
- R W Blum, D Garell, C H Hodgman, T W Jorissen, N A Okinow, D P Orr, G B Slap
Transition from child-centered to adult health-care systems for adolescents with chronic conditions. A position paper of the Society for Adolescent Medicine - Liga für Kinder- und Jugendgesundheit
https://www.kinderjugendgesundheit.at/themenschwerpunkte/transition/ - Transitionsfahrplan Med Uni Wien:
https://kinder-jugendheilkunde.meduniwien.ac.at/informationen-fuer-patientinnen/uebergang-von-der-kinderklinik-in-die-erwachsenenmedizin-transition/ - „Lost in Transition“,9.Jahrestagung der Politischen Kindermedizin 2015
https://www.springermedizin.de/paediatrie-paedologie-1- 2016/10614664
Empfohlene Maßnahmen:
lmplementierung strukturierter Transitionsprozesse mit folgenden Schwerpunkten:
- Frühzeitiges Thematisieren und Vorbereiten betroffener Familien auf den Transitionsprozess
- Systematischer Ablauf (Planung, Information, Durchführung, Kommunikation, Dokumentation)
- Multidisziplinäres Team mit Prozessleader (unabhängig ob Mediziner*in, Diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger*in oder Sozialarbeiter*in).
- Während des Transitionsprozesses sollen beide Bereiche (Pädiatrie und Erwachsenenmedizin) parallel und gemeinsam aktiv tätig werden
- Ziele formulieren (Krankheit, Alltag, Arbeit, Zukunft)
- Einführung einheitlicher Mindeststandards unter Berücksichtigung wissenschaftlich fundierter Leitlinien, systematische Umsetzung
- Multiprofessionelle Teams mit Expertise für Kinder und Jugendliche, intensive und umfassende Spezialisierungsmöglichkeiten
- Ressourcen schaffen - finanziell, zeitlich, strukturell für alle Stakeholder und Settings
VISION: Bereitschaft, den kurzfristigen Mehraufwand für die Doppelgleisigkeit zu ermöglichen, mit dem Ergebnis von langfristigen Verbesserungen und Einsparungen für Betroffene, Familien und Gesundheitssystem.
(Dieser Text und die Formulierung der empfohlenen Maßnahmen entstammt gekürzt einem Beitrag vom Berufsverband Kinderkrankenpflege Österreich und MOKI)
- Kinder und Jugendliche mit chronischen oder schweren Erkrankungen werden aus dem
Krankenhaus entlassen, und dann? - In Österreich gibt es keine ausreichende und einheitliche Regelfinanzierung und keine
gesetzlich verankerten einheitlichen Rahmenbedingungen für pädiatrische Pflegedienste.
Die extramurale Versorgung von Kindern und Jugendlichen vom Frühgeborenen bis zum 18jährigen Jugendlichen mit akuten und chronischen Erkrankungen findet zu Hause, in Kindergärten, Schulen, in Krisenzentren bzw. Wohngemeinschaften, aber auch in Langzeit- und Kurzzeiteinrichtungen statt. Neben der Pflege, der Übernahme von medizinischen Tätigkeiten und der Betreuung von Kindern/Jugendlichen ist auch die Anleitung, Begleitung und Entlastung des Familiensystems ein essenzieller Schwerpunkt
Die Herausforderungen in der mobilen bzw. palliativen Pflege:
- Die Komplexität der Diagnosen: unabhängig davon, ob es sich um Frühgeborene, Kinder/Jugendliche mit z.B. Diabetes, neuromuskulären Erkrankungen, Syndromen bzw. Fehlbildungen in der mobilen Pflege oder in Kurzzeit-/Langzeiteinrichtungen handelt, sind 80% im palliativen Setting zu finden.
- Das notwendige hohe spezielle Fachwissen: von der Pflege gesunder Kinder/Jugendlicher bis zur palliativen Begleitung, vom Diabetes bis zur Heimbeatmung, vom Katheterisieren bis zur PEG-Sondenernährung.
- Die Entlastung des Familiensystems: Die Versorgung eines schwerkranken Kindes, teilweise über viele Jahre hinweg, stellt eine große Herausforderung an die gesamte Familie dar. Die Pflege und Betreuung geschieht mit vielen Auf und Abs, gekennzeichnet im Zustandsbild des Kindes. Die betreuenden Eltern leisten unter enormer Kraftanstrengung über Jahre hinweg die vielfältige Pflege für ihr Kind. Dies geht mit Phasen von wenig Schlaf, körperlicher Erschöpfung und wenig Zeitressourcen für andere Aufgaben oder Annehmlichkeiten des täglichen Lebens einher, wie Erfahrungsberichte aufzeigen.
- Die soziale und psychische Begleitung des Familiensystems: Gesprächsangebote, die Kompetenzen der Familie erkennen und stärken, vernetzen, organisieren von anderen Unterstützungssystemen oder Hilfsmittel und Hilfestellung bei Förderanträgen sind zentrale Aufgabenbereiche, die als große, unverzichtbare Unterstützung wahrgenommen werden.
- Die unterschiedlichen Familienbedürfnisse und Systeme: von der Kleinfamilie bis zur Sippe, von der Alleinerziehenden bis zu mehreren Generationen in einem Haushalt. Die Aufgaben der Pflegepersonen werden individuell den Ressourcen des Familiensystems angepasst.
- Ist ein Kind/Jugendlicher krank, ist immer die gesamte Familie betroffen. Gesunde Geschwisterkinder sind oft „Schattenkinder“, sie werden übersehen, fühlen sich dem kranken Kind gegenüber verantwortlich und sind benachteiligt im sozialen Leben Gleichaltriger. Der Fokus der mobilen pädiatrischen Pflege und Begleitung liegt auf der gesamten Familie und dem Familiensystem.
Häufige, akute Verschlechterungen bzw. Ausfälle bei akut notwendigen stationären Aufnahmen und damit verbundene lange Einsatzzeiten und weite Wegstrecken stellen alle in der mobilen Pflege vor große wirtschaftliche Herausforderungen. Die Komplexität der Betreuung stellt für Eltern, Pflegepersonen aber auch Organisationen oft ein großes Pensum an Aufgaben dar.
Quellen:
- Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (2024): Charta für Kinder im Krankenhaus. https://www.gesundheit.gv.at/gesundheitsleistungen/krankenhausaufenthalt/kinder-im-krankenhaus.html (21.04.2024)
- Bundesgesetz über Gesundheits- und Krankenpflegeberufe (Gesundheits- und Krankenpflegegesetz –https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=10011026(06.07.2024)
- Hospiz Österreich. Hospiz und Palliative Care. (2024). Hospiz und Palliative Care für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Abgerufen am 11.07.2024 von: https://www.kinder-hospiz.at/hospiz-palliative-care/hospiz-und-palliative-care-fuer-kinder-jugendliche-und-junge-erwachsene/
- Österreichischer Strukturplan (ÖSG 2023) https://goeg.at/OESG_2023 (06.07,2024)
- Berufsverband Kinderkrankenpflege Österreich: Positionspapier_Vorbehaltstätigkeit_Kinderkrankenpflege https://kinderkrankenpflege.at/de/aktuell/102315 (03.07.2024)
- Hintermayer, G. (2014): Leistungsorientierte Dienstplangestaltung in der
- Hauskrankenpflege bei Kindern/Jugendlichen im Vergleich mit der Hauskrankenpflege für Erwachsene, AV Akademikerverlag.
Empfohlene Maßnahmen:
- Eine bundeseinheitliche Regelfinanzierung für Kinder- und Jugendliche mit schweren bzw. chronischen Erkrankungen sowie palliativen Diagnosen. Dabei muss akzeptiert werden, dass die Pflege in der Pädiatrie kostenintensiver gegenüber der für Erwachsene ist.
- Die Sicherstellung der Versorgungsstruktur durch die gesetzliche Verankerung bundeslandübergreifender Rahmenbedingungen für Kinder- und Jugendliche mit schweren bzw. chronischen Erkrankungen sowie palliativen Diagnosen.
- Die zentrale Verankerung von pädiatrischen Pflegediensten in Versorgungs-netzwerken.
- Die Etablierung eines nachhaltigen Transitionsmanagements. Standardisierte Prozesse, welche die Jugendlichen medizinisch und pflegerisch beim Übergang in die Erwachsenenpflege begleiten. (siehe auch Punkt Transition)
- Die professionelle Pflege eines Kindes / Jugendlichen mit komplexen Erkrankungen ist als hochspezialisierte Form der Pflege zu sehen. Ausschließlich Pflegepersonen der Kinder- und Jugendlichenpflege mit entsprechender Zusatzausbildung sind dazu berechtigt in diesem Setting tätig zu sein. Die Expertise dieser Berufsgruppe ist für die Qualität der Versorgung und Pflege der jungen Patienten und ihrer Familien unverzichtbar. (siehe auch Spezialisierung KiJuPflege)
- Entsprechend der EACH Charta Kinder im Krankenhaus und der Kinderrechtekonvention muss die mobile Pflege vor der stationären Pflege möglich sein. Ein entsprechender Ausbau und die Finanzierung sind essenziell!
- Ausbau von stationären Kurzzeit- und Langzeitangeboten in ganz Österreich
- Entlastungsangebote auch für Nächte oder Wochenenden zu Hause ausbauen und die finanzielle Sicherheit gewährleisten
- Zugang für mobile Pflege Pädiatrie zu Fördermöglichkeiten im Rahmen des Hospiz- und Palliativfondsgesetzes ermöglichen
(Dieser Text und die Formulierung der empfohlenen Maßnahmen entstammt einem Beitrag vom Berufsverband Kinderkrankenpflege Österreich und MOKI)
Fremd und schlecht behandelt
- Unser Gesundheitssystem ist für eine gute Versorgung von Flüchtlingskindern denkbar schlecht gerüstet, dabei wäre Österreich laut Genfer Flüchtlingskonvention verpflichtet, geflüchteten Kindern und Jugendlichen dieselbe medizinische Betreuung zukommen zu lassen wie der restlichen Bevölkerung
- Für die Behandlung geflüchteter Kinder und Jugendlicher fehlt es überall an Expertise in Migrationsmedizin, an Dolmetscher*innen, standardisierten Diagnoseprogrammen, an Unterstützung der Eltern und vor allem an Zeit
- Es gibt keinerlei Datenerfassung zum Gesundheitszustand von Flüchtlingskindern. Es ist nicht einmal offiziell bekannt, wie viele in Österreich leben und wie viele von ihnen laufend ärztliche Hilfe und Unterstützung brauchen
- Die Situation unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter ist menschenrechtswidrig, im Gesundheitssystem haben diese Kinder und Jugendlichen bei medizinischen Eingriffen keine Unterstützung und gesetzliche Vertretung
Alle Kinder, egal woher sie kommen, brauchen die gleichen Ressourcen, um sich bestmöglich zu entwickeln und zu entfalten. Das betrifft sowohl ihre physische als auch ihre psychische Gesundheit. Es ist die Pflicht einer Gesellschaft, sie – egal wo sie geboren sind oder welche Staatsbürgerschaft sie haben oder welche Sprache sie sprechen – auf ihrem Weg zu begleiten und Unterstützung bereitzustellen. Österreich hat sich durch Unterzeichnung der Genfer Flüchtlingskonvention und der UN-Kinderrechtekonvention dazu auch verpflichtet.
Das österreichische Gesundheitssystem ist für die Behandlung geflüchteter Kinder und Jugendlicher aber nicht gerüstet, obwohl es sich dabei allein schon zahlenmäßig nicht um ein Nischenthema handelt. 2022 wurden für 23.201 Kinder und Jugendliche ein Asylantrag gestellt, 2023 für 26.974. Das bedeutet eine große Herausforderung für die betreuenden Gesundheitsberufe, beginnend bei oft großen Sprachbarrieren über unbekannte Gesundheits- und Impfdaten bis zu mitunter mangelndem Umsetzungsvermögen der Eltern. Je nach weiterem Aufenthalt werden die Kinder von Schulärzt*innen, Allgemeinmediziner*innen oder Kinderfachärzt*innen betreut – oder gar nicht, wenn die Eltern den Weg zu Gesundheitseinrichtungen nicht finden. Bis auf eine einzige Migrationsambulanz im Klinikum Ottakring in Wien, gibt es an keiner Stelle im Gesundheitswesen flucht-migrationsspezifische Expertise und ein entsprechendes Setting mit Sozialarbeit und Dolmetschunterstützung.
Es gibt kein institutionalisiertes und standardisiertes Vorgehen für die weitere medizinische Versorgung. Flüchtlingskinder erhalten zwar mit der Registrierung als Asylwerber die e-card als “Eintrittskarte” ins Krankenversicherungssystem, eine gute medizinische Versorgung ist damit aber bei weitem nicht gewährleistet. Insbesondere fehlt es an:
- Zeit für die aufwändige Betreuung in Kassenordinationen
- Abgeltung des erhöhten Betreuungsaufwandes für Prävention, Beratung, Aufklärung, Dolmetschdienste
- teilweise Finanzierung notwendiger Impfungen
- fehlendes ausreichendes Angebot kassenfinanzierter Therapien
- standardisierter Informationsweitergabe, sonst kommt es zu Mehrfachuntersuchungen, Mehrfachimpfungen, falscher Medikamentengabe oder Unterlassung wichtiger Untersuchungen
- Kooperation und Vernetzung der betreuenden Institutionen und Personen
Quellen:
- asylkoordination österreich de
- Migrationsmedizin bei Kindern - Wiener Gesundheitsverbund
- Grois, N., Auer, H., Beeretz, I. et al. Empfehlungen für medizinische Maßnahmen bei immigrierenden Kindern und Jugendlichen. Paediatr. Paedolog. Austria 51, 51–58 (2016).
- Grois, N., Fröhlich, C. & Schweitzer, K. Die alltägliche medizinisch-therapeutische Versorgung unserer Kinder. Paediatr. Paedolog. 54 (Suppl 1), 20–25 (2019).
Empfohlene Maßnahmen:
- Zusammenarbeit der zuständigen Ministerien und der Landessanitätsdirektionen für ein bundeseinheitliches Konzept für die Betreuung von Flüchtlingskindern
- Standardisierte Vorgehensweise und pädiatrische Expertise bei der Erstuntersuchung nach Ankunft
- Einführung eines vorgeschriebenen Gesundheitspasses für Flüchtlingskinder zum Informationstransfer, der an allen Stellen benutzt werden muss
- Einrichtung und Finanzierung von weiteren Spezialambulanzen oder spezialisierten Ordinationen mit multiprofessionellen Teams mit flucht-migrationsspezifischer Kompetenz und Dolmetscher*innen in Ballungszentren
- Kurzfristige Erarbeitung einer Website zur verbesserten Information und Vernetzung sämtlicher betreuender Stellen im Gesundheitswesen
- Finanzierung und Umsetzung aller im Österreichischen Impfplan empfohlenen Impfungen
- Flächendeckende Organisation der medizinischen Betreuung mit einer nachgehenden Versorgung vor allem von Kindern mit chronischen Erkrankungen
- gesicherte psychiatrische/psychologische/psychotherapeutische Versorgung für Kinder mit Traumafolgeerkrankungen
- Finanzierung von notwendigen funktionellen Therapien
- Adäquate Honorierung notwendiger Leistungen wie aufwändiger Anamneseerhebung bei Sprachschwierigkeiten, Dolmetschunterstützung, aufwändige Erklärung von Präventionsmaßnahmen und Therapien durch niedergelassenen Ärzt*innen
Zuckerkrank und schlecht versorgt
- Die Versorgungslage für ca. 3500 Kinder und Jugendliche bis 14 Jahre mit Diabetes (Zuckerkrankheit) in Österreich ist prekär
- Es gibt viel zu wenige Personalstellen für die multidisziplinäre Betreuung in den
Spezialzentren mit Ambulanz
- Die zusätzlich erforderliche mobile Betreuung ist nur in einem Bundesland
vollständig umgesetzt.
Diabetes mellitus Typ 1 ist eine sogenannte Autoimmunerkrankung, die zu einem Insulinmangel führt. Sie betrifft häufig Kinder und Jugendliche und sollte nicht mit der Volkskrankheit Diabetes mellitus Typ 2 verwechselt werden. In Österreich sind rund 3.500 junge Menschen bis 14 Jahre von der Erkrankung betroffen. Ihre Zahl steigt seit Jahrzehnten kontinuierlich an. Die jungen Menschen müssen mit einer Insulintherapie umgehen lernen, die sie ihr gesamtes Leben begleiten wird. Das bedeutet für die Kinder und Jugendlichen, aber auch für deren gesamte Familie, dass sie ein komplexes Selbstmanagement in ihr Leben integrieren müssen. Dafür brauchen diese Familien alle Unterstützung, die sie bekommen können.
Diabetes mellitus Typ 1 ist eine komplexe Erkrankung und es bedarf multidisziplinärer Teams, um diese gut zu managen. Es gibt klare Zahlen, wie ein Team auszusehen hat, das 100 Kinder und Jugendliche mit Diabetes betreut. Es besteht aus einer*m Kinderärzt*in mit Diabetologischer Zusatzausbildung, einer*m Diabetesberater*in, 0,3 Vollzeitäquivalente für
Psychologie sowie Kinderkrankenpflege, einer halben Stelle für eine Fachkraft für Ernährung und 20 % einer sozialarbeiterischen Vollzeitstelle sowie einer administrativen Unterstützung. Diese Zahlen werden in keinem einzigen der 34 pädiatrischen Diabeteszentren in Österreich erreicht. In einer Umfrage unter den Zentren zeigt sich sogar, dass in fast allen Fällen nicht einmal die Hälfte der – laut Leitlinien – notwendigen Stellen zur Verfügung stehen. Es handelt sich dabei nicht um den generellen Personalmangel im Gesundheitsbereich, sondern um Stellen, die nie geschaffen wurden.
Ganz besonders wichtig ist die mobile Betreuung, die in Österreich bis jetzt nur in Wien in einen Regelbetrieb übergeführt ist. In der Steiermark gibt es ein Pilotprojekt, das aber trotz hervorragender Evaluationsergebnisse bisher nicht regelfinanziert wird, über viele Jahre wurde es aus Spenden ermöglicht. Die mobile Betreuung erfüllt eine essenzielle Rolle in der Versorgung von Kindern mit Diabetes und entlastet auch die Diabetes-Ambulanzen an den Spitälern. Sie unterstützt Familien zuhause, dort wo sie lernen müssen, die Diabetestherapie und alle neuen Abläufe in ihr Familienleben zu integrieren. Dies ist gerade bei Familien aus benachteiligten Bevölkerungsgruppen, in denen es an Geld und Zeit oder auch an Bildung oder Sprachbeherrschung mangelt, besonders wichtig. Die mobile Betreuung schult auch Pädagog*innen in Kindergarten, Volksschule und Hort, um dem Kind und seinem Umfeld einen guten Start außerhalb der Familie zu ermöglichen.
Eine große Herausforderung besteht auch im Management der Transition, also des strukturierten und sicheren Übergangs von der Kinder- und Jugendheilkunde in das System der Erwachsenen-Medizin. Hier gibt es u.a. große altersbedingte Probleme, für deren Bewältigung nicht ausreichend Personal zur Verfügung steht.
(Die obigen Ausführungen sind – zu einem großen Teil auch wörtliche – Zitate aus der angegebenen Quelle)
Quelle:
- Diabetes bei Kindern und Jugendlichen: Versorgung mit knappen Ressourcen,
Presseinformation der Österreichischen Diabetes Gesellschaft vom 5.6.2024
Empfohlene Maßnahmen:
- Schaffung von ausreichend Personalstellen nach internationalen Leitlinien
- Erweiterung der Planstellen auf 35 Kinderärzt*innen/Diabetolog*innen, 35
Diabetesberater*innen, 12 Psycholog*innen und 12 Kinderkrankenpflegepersonen, sowie 17 Fachkräfte für Ernährung und 7 Sozialarbeiter*innen - Auf- und Ausbau einer mobilen Diabetes-Betreuung für Kinder, Jugendliche und ihre
Familien in allen Bundesländern - Finanzierung neuer technischer Hilfsmittel in der Diabetestherapie, die nicht nur das
Leben erleichtern, sondern eine kontinuierliche Zucker-Überwachung und Therapie
ermöglichen - Ausbau des Transitionsprozesses durch Erhöhung der Planstellen