Ich brauche eine Kinderärzt*in!
- Niedergelassene Kinderärzt*innen mit Kassen fehlen in fast allen Bundesländern, viele Kassenstellen sind nicht besetzt
- In einigen Bezirken gibt es keine*n einzige*n Kinderärzt*in mit allen Krankenkassen
Die sogenannte Primärversorgung, also die erste Anlaufstelle für gesundheitliche Hilfe suchende Kinder, Jugendliche und ihre Familien, wird von Allgemeinmediziner*innen und Fachärzt*innen für Kinder- und Jugendheilkunde getragen. Bei einer guten Erreichbarkeit werden üblicherweise Fachärzt*innen bevorzugt, da sie naturgemäß eine wesentlich fundiertere Ausbildung für Kinder- und Jugendheilkunde haben (72 Monate in verschiedensten kinderärztlichen Basis- und Spezialgebieten gegenüber verpflichtenden 3 Monaten pädiatrischer Ausbildung bei Allgemeinmediziner*innen). Die Erreichbarkeit von Kinderärzt*innen mit Kassen nimmt aber aus mehreren Gründen ab, vor allem, weil sie bei steigender Bevölkerungszahl immer weniger werden. Nach einer Erhebung der Österreichischen Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (ÖGKJ) aus dem August 2023 waren zumindest 25 Kassenstellen unbesetzt, davon 9 in Niederösterreich und 8 in Oberösterreich. Im September 2025 waren 27,5 Kassenstellen unbesetzt, z.B. in Tirol 4 von 26, in Salzburg 3 von 21, in Wien 11,5 von 90, in der Steiermark 4 von 41 oder in NÖ 4 von 45.
In mehreren – auch großen – Bezirken, gibt es keine Kinderärztin oder Kinderarzt mit Kassen: im Mai 2024 und auch noch im Dezember 2025 zum Beispiel in den NÖ Bezirken Lilienfeld und Mistelbach, in der Steiermark in den Bezirken Murau und Murtal und in Reutte in Tirol. Auch in anderen Bezirken ist die Ausdünnung stark merkbar, z.B. gab es 2015 im Bezirk Baden noch 3 Kinderärzt*innen mit allen Kassen, derzeit (Dezember 2025) ist es nur einer.
Die Gründe für die geringe Akzeptanz von Kassenstellen sind vielfältig, sie reichen von zu großer zeitlicher und Stress-Belastung mit zu wenig Zeit für Patient*innen über eine zunehmende Bürokratie bis zu mäßiger finanzieller Attraktivität im Vergleich zu einer meist weniger belastenden Tätigkeit als Wahlärzt*in.
Quellen:
- Erhebung der Österr. Ges. f. Kinder- und Jugendheilkunde August 2023, Mitteilungen der ÖGKJ. Monatsschr Kinderheilkd 171, 954–962 (2023).
- Erhebung der Österr. Ges. f. Kinder- und Jugendheilkunde vom September
2025, bisher unveröffentlicht - https://www.aerztekammer.at/arztsuche
- Kohlfürst, D.S., Zöggeler, T., Karall, D. et al. Arbeitszufriedenheit unter österreichischen Pädiaterinnen und Pädiatern. Paediatr. Paedolog. (2024).
Empfohlene Maßnahmen:
Die Österreichische Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde hat 2022 ein 10-Punkte-Programm vorgestellt, von dem bereits einzelne umgesetzt werden konnten
- Enge Kooperation (Durchlässigkeit, Rotationsmöglichkeit) zwischen niedergelassener und Spitalspädiatrie – in Stk, Sbg, Tirol und Vbg. bereits teilweise umgesetzt
- Öffentlich (ko-)finanzierte Lehrpraxis im Ausmaß von 6–12 Monaten
- Strukturförderung („Starterbonus“) für Praxis(neu)eröffnungen bzw. Versorgungsbonus für mangelversorgte Gebiete – für Primärversorgungseinheiten (PVEs) und teilweise andere Ordinationen bereits umgesetzt
- Möglichkeit für Pädiatrische Primärversorgungseinheiten (PVEs) – auch in dislozierten/virtuellen Verbünden – bereits umgesetzt
- Förderung bereits möglicher Kooperationsmodelle durch Aufhebung von Honorarlimitierungen
- Unterstützung bei der Realisierung von familienfreundlichen Teilzeitmodellen insbesondere für Ärzt*innen im kassenärztlichen Bereich – bereits teilweise möglich
- Aufwertung des Faktors „Zeit“ für ausgewählte bzw. komplexe Erkrankungsfälle
- Übertragungsmöglichkeit bestimmter Tätigkeiten in der kinder- und jugendfachärztlichen Praxis an qualifiziertes nichtärztliches medizinisches Personal – bereits teilweise umgesetzt
- Valorisierung der seit 1994 nicht angepassten Mutterkindpass-Honorare – bereits umgesetzt
- Möglichkeit der präventivmedizinischen Tätigkeit einschl. Erweiterung der Gesundheitsvorsorge bis zum 18. Lebensjahr in der kinder- und jugendfachärztlichen Praxis
- Mehr als die Hälfte (54 Prozent) der Kassenmediziner*innen für Kinder- und Jugendheilkunde in Wien kann aufgrund der Auslastung keine neuen Patient*innen mehr aufnehmen
Im Mai 2024 wurden die Ergebnisse einer aktuellen Studie im Auftrag der Ärztekammer für Wien vorgestellt. Die Studie mit anonymen Anfragen bei 850 Kassenordinationen verschiedener Richtungen zeigte eine enorme Verschlechterung für die Patient*innen in Wien seit 2012. Die Wartezeiten in den Wiener Kassenordinationen haben sich merklich erhöht, in einzelnen Fachbereichen kam es zu einer Vervielfachung der Wartezeiten. Die Terminvergabe wird immer schwieriger, es kommt zu langen Wartezeiten und in letzter Konsequenz auch zu Aufnahmestopps.
Spitzenreiterinnen in diesem negativen Ranking sind bei den Wartezeiten die Fächer Kinder- und Jugendpsychiatrie mit median 90 Tagen und bei der Zahl der Ordinationen, die aufgrund der Auslastung keine neuen Patient*innen mehr aufnehmen können, sind das mit 54 % die Kinder- und Jugendärzt*innen, in der Kinder- und Jugendpsychiatrie sind es 40 %.
Fazit des Ärztekammerpräsidenten: „Es ist fünf vor zwölf. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie sind erschreckend. Leider sind die Probleme hausgemacht, weil das Kassensystem seit vielen Jahren kaputtgespart wird. Die Leidtragenden sind die Patientinnen und Patienten, die immer längere Wartezeiten in Kauf nehmen müssen. Nur mit einer massiven Stärkung unseres solidarischen Gesundheitssystems werden wir gegensteuern können.“
Quelle:
Empfohlene Maßnahmen:
- Weiterer Ausbau der Primärversorgungszentren für Kinder und Jugendliche
- Anpassung der Zahl der Kassenplanstellen an die steigenden Bevölkerungszahlen
- Anpassung der Zahl der Kassenplanstellen an die steigenden Anforderungen in der Pädiatrie wegen zunehmend komplexer Krankheitsbilder und zunehmend aufwändigen Betreuungen
- Aufbau einer kinderärztlichen Hotline mit kompetenter Patient*innenleitung
- Förderung der Gesundheitskompetenz von Eltern für ihre Kinder durch Bildungsprogramme
- Während bei zunehmender Bevölkerung die Zahl der Kinderärzt*innen mit Kassen nicht erhöht wird, gibt es immer mehr Wahlärzt*innen, bei denen ein privater Anteil zu zahlen ist
Sehr viele Familien sind bei der Suche nach einer*m Kassenkinderärzt*in ziemlich ratlos und suchen oft vergebens: entweder ist in zumutbarer Nähe keine*r zu finden oder es bestehen zu lange Wartezeiten oder es werden oft auch gar keine neuen Patient*innen mehr angenommen.
Die Gründe für diese oft erfolglose Suche sind vielfältig:
- Während die Bevölkerung in Österreich und hier besonders in Wien wächst, nimmt die Zahl der Kinderärzt*innen mit Kassen praktisch gleich. 2015 gab es von ihnen in Österreich 281 bei 1.687.000 Kindern und Jugendlichen bis 19 Jahren, 2025 sind 286 bei 1.766.260 unter 19-Jährigen. In Wien nahmen die Kinder und Jugendlichen aber stark zu, auf eine Kassenkinderärzt*in kamen im Jahr 2015 noch 3.906 Kinder und Jugendliche, 2025 bereits 5.012.
- Die Aufgaben für die verbleibenden Kinderärzt*innen mit Kassen nehmen zu: die Betreuung wird immer aufwändiger aufgrund des gesellschaftlichen Wandels, Migration und damit verbunden vermehrt sozioökonomischen Risikogruppen mit erhöhtem Betreuungsaufwand, Sprachbarrieren, immer größeren Anforderungen und Risiken durch die Digitalisierung und ein veraltetes, unzeitgemäßes Verrechnungssystem
- Es fehlt den Kassenkinderärzt*innen hauptsächlich an Zeit für die Betreuung des einzelnen Kindes bzw. der Familie und insgesamt für die Bewältigung der steigenden Herausforderungen bei immer komplexeren Problemstellungen.
Demgegenüber steigt die Zahl der Wahlärzt*innen bei den Kinder- und Jugendärzt*innen besonders stark an: von 2013 bis 2023 erhöhte sich ihre Zahl von 253 auf 490. Viele junge Kinderärzt*innen ziehen der zu großen Belastung in einer Kassenpraxis eine normalere Arbeitssituation als Wahlärzt*in vor. Für die Familien und ihre Kinder bedeutet dies bei Inanspruchnahme einer Wahlärzt*in meist schnellere Termine, mehr Zeit für Gespräche, aber auch Selbstkosten. Die Kassen refundieren zwar 80 %, wenn die Wahlärzt*in nicht mehr verlangt als eine Kassenärzt*in erhalten würde und keine Leistungen verrechnet, die im Honorarkatalog der Kassen nicht enthalten sind. Die verbleibenden Selbstkosten übersteigen trotzdem sehr oft die finanziellen Möglichkeiten der Familien, besonders bei häufig oder chronisch kranken Kindern und Jugendlichen und Alleinerzieher*innen.
Quellen:
- Erhebung der Österr. Ges. f. Kinder- und Jugendheilkunde August 2023, Mitteilungen der ÖGKJ. Monatsschr Kinderheilkd 171, 954–962 (2023).
- Erhebung der Österr. Ges. f. Kinder- und Jugendheilkunde September 2025,
bisher unveröffentlicht - Microsoft Word - Modell PV KJ Letztfassung 18.6.doc (polkm.org)
- Die Zahl der Wahlärzte steigt und steigt | DiePresse.com
Empfohlene Maßnahmen:
- Attraktivierung der Kassenpraxis
- Bessere Honorierung des Faktors „Zeit“ in der Kassenpraxis
- Anpassung der Zahl der Kassenplanstellen an die steigenden Bevölkerungszahlen und die zunehmenden Anforderungen durch aufwändige Betreuungen
- Teilweise Einbindung der Wahlärzt*innen in das Kassensystem, z.B. durch Angebote für eine (Teilzeit-) Anstellung in Primärversorgungseinheiten